CSD Stuttgart 2010
Wieso eigentlich?
Wer’s noch nicht weiß: Die CSDs gibt es seit 1969. Damals, am 28. Juni, kam es in der Christopher Street in New York zum Aufstand gegen die Polizei, die in den Szenevierteln immer wieder einschüchternde Razzien durchgeführt hatte. Diese Auseinandersetzung markiert den Beginn der modernen Schwulenbewegung, und deswegen wird seitdem jedes Jahr im Sommer mit Paraden und Kundgebungen daran erinnert. Mittlerweile gibt es den CSD auch in vielen deutschen Städten, z.B. Berlin, Stuttgart, Köln, München, Hamburg. Ziel der CSDs ist bis heute, auf Missstände im Umgang mit Homosexuellen aufmerksam zu machen und in der Öffentlichkeit Präsenz zu zeigen; doch dazu später mehr.
Es geht los
Aber genug Geschichte, nun zu unserer Parade:
Nachdem wir uns mit Mühe in unseren Startplatz gequetscht und mit Bannern oder Schildern bewaffnet hatten, ging es bald los. Die Strecke durch die Stuttgarter Innenstadt war gesäumt von zehntausenden Zuschauern, das Wetter war hervorragend und die Stimmung super. Besser hätte es nicht sein können. Es war ein tolles Gefühl, in so einer großen Parade mitzulaufen – frei und locker, und ausnahmsweise auch in der Mehrheit. Zumindest an diesem Tag musste sich niemand dafür verstecken, wie er/sie liebt. Die Reaktionen vom Straßenrand waren erstaunt bis anfeuernd, und – soweit wir sehen konnten – alle friedlich.
„Bunt“ ist noch untertrieben
Schon als wir an unserem Aufstellungsort ankamen, fiel uns auf, wie viele verschiedene Gruppen anwesend waren. Man redet gerne über „die Schwulen“ und übersieht dabei leicht, dass das im Grunde genau so aussagekräftig ist wie „die Autofahrer“. Mit dabei waren im Ganzen ungefähr 60 Gruppen, unter anderem diverse Parteien, Motorradfahrer, Lehrer, Sportvereine, Gothics. Und natürlich auch die Travestie-Darsteller, die auf keiner solchen Veranstaltung fehlen.
„Brauch ich nicht…“
An dieser Stelle setzt meist auch die Kritik am CSD an: Die Parade sei nichts Politisches mehr, sondern nur noch ein langer Zug von schrillbunten Leuten, die sich selbst inszenieren und Party feiern. Und dabei nicht versäumen, möglichst viel nackte Haut herzuzeigen. Bei dem ganzen Chaos fehle die Glaubwürdigkeit und die politische Botschaft. Auch viele Schwule und Lesben sehen das so und weigern sich deshalb, bei diesen Veranstaltungen dabei zu sein. Allerdings darf man nicht vergessen, dass der CSD meistens eine größere Veranstaltung ist, die mehrere Tage dauert – die Parade ist nur der sichtbarste Teil. Und das eigentlich Politische ist eben im Umfeld der Parade zu finden, bei der Eröffnungsfeier oder bei der Kundgebung.
Doch. Brauchst du doch!
Denn genau diese Leute, die Schrillen und Drag-Queens, und alle anderen, die diese Paraden bunt und sensationell machen, diese Leute sorgen dafür, dass wir überhaupt in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Homo- oder transsexuelles Leben findet heute immer noch weitgehend im Verborgenen statt – in Szenekneipen, in Seitenstraßen, in Vereinen. Wenn wir nicht auf uns aufmerksam machen, werden wir in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Und wenn wir nicht wahrgenommen werden, wird sich unsere Situation in der Gesellschaft nicht verbessern. Die Rechte einer Minderheit haben sich in der Geschichte noch nie durch bloßes Aussitzen gebessert. Die Tatsache, dass wir heute in Deutschland gesetzlich akzeptiert sind, dass wir in der Stadt Händchen halten dürfen, ohne ins Gefängnis zu kommen, dass wir zusammen wohnen dürfen – all das sind die Errungenschaften von 40 Jahren Schwulen- und Lesbenbewegung, von 40 Jahren Sichtbar-Sein. Minderheitenrechte sind – gesellschaftlich betrachtet – ein Luxus: das gibt man uns nicht einfach so, das müssen wir einfordern (so wie es z.B. die Frauenbewegung seit 150 Jahren tut, und selbst da ist man noch nicht am Ziel). Wenn man uns nicht sieht, wird man uns auch nicht glauben, dass man für uns etwas tun sollte. Dann bleibt alles wie es ist.
Und es gibt noch Einiges zu tun
Damit sind wir bei der Kundgebung, und die war tatsächlich sehr politisch. Dieses Jahr stand der CSD in Stuttgart unter dem Motto „Schön wär’s“. Schön wär’s, wenn wir tatsächlich am Ziel wären – aber selbst in einem relativ fortschrittlichen Land wie unserem sind wir das noch nicht, von vielen anderen Ländern mal ganz zu schweigen. Als Jugendlicher merkt man davon nicht viel – das kommt meistens erst später. Dann geht es nämlich um die Toleranz am Arbeitsplatz, um die juristische Gleichstellung mit der Ehe (die Homo-Ehe ist teurer zu bekommen und die Steuervorteile sind auch geringer) und um das Adoptionsrecht, denn der Kinderwunsch ist nicht Eigentum der Heteros. Besonders in Baden-Württemberg gibt es da noch eine Menge Nachholbedarf.
Fazit
Allein das Gefühl beim Mitlaufen in der Parade war toll! Und gleichzeitig haben wir auch noch etwas für unsere Rechte getan (nicht direkt, aber mittelbar). Wir haben gezeigt, dass wir nicht allein sind. Und dass wir nicht akzeptieren, dass Gesellschaft und Politik wegsehen und uns ignorieren. Also unsere klare Empfehlung an dich: Lass dich darauf doch mal ein! Lauf einmal mit, oder schau dir eine Parade an! Erlebe das Gefühl, Teil einer großen Gemeinschaft zu sein, die sich für deine Rechte einsetzt!