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Eine Coming-Out-Odyssee

Wer erinnert sich nicht gerne daran, wie man als Gymnasiast das erste Mal einen Fuß auf den Campus setzte, meist im Zuge eines Abituriententages. Wie man beeindruckt jegliche Information in sich aufsog, als hinge das eigene Leben davon ab.

So erlebte ich jedenfalls meinen ersten Trip nach Karlsruhe. Etwas weniger feierlich schloß der Tag mit einer Razzia der Informationsstände, bei der eine meiner Mitschülerinnen schlicht alles, was nicht festgenagelt war, auf Stapel packte und mit Gönnermiene an ihre Begleiter weiterreichte. Auch ich erhielt eines dieser, für die
Altpapiersammlung prädestinierten Pakete – noch ahnungslos, daß tatsächlich etwas sehr Wichtiges für mich darin enthalten sein würde.

Erst zu Hause beim Einordnen in die Ablage „P“ – wie Papierkorb – entdeckte ich es: Das hellblaue SchwUnG-Erstsemesterinfo. SchwUnG – klingt nett, was ist das? Natürlich mußte ich erst einige Seiten lesen, bevor ich begriff, was ich da in Händen hielt. Zweifelsohne hatte meine Freundin bestimmt nicht gewußt, was sie mir das in die Hand gedrückt hatte. Mit großen Augen las ich die Artikel, und das Bewußtsein, mit meinem „Anders-Sein“ nicht alleine dazustehen, wurde wieder ein Stück größer. So entkam dieses Dokument seiner Vernichtung und wurde ganz tief in der Schreibtischschublade vergraben und behütet. Es sollte jedoch noch zwei Jahre dauern, bis der Leidensdruck so groß wurde, daß Taten folgten.

Da stand ich: Ziemlich allein gelassen mit meinen Gefühlen, Student in Karlsruhe, wohnhaft im Rentnerparadies Baden-Baden. War das das Ende? Keineswegs, denn irgendwo mußte noch dieser letzte Strohhalm mit himmelblauem Umschlag schlummern: Mit feuchten Fingern stellte ich mein Zimmer auf den Kopf, bis ich diese kostbare, fast vergessene Broschur endlich wieder in Händen hielt.

Bei der nächsten Gelegenheit rief ich beim Rosa-Telefon an, um zu klären, ob die Coming-Out-Gruppe überhaupt noch existierte. Völlig euphorisch, endlich Kontakt zu anderen Schwulen zu haben, vergaß ich den wichtigsten aller Hinweise, der mir mit auf den Weg gegeben ward: Und wenn du suchest in finsterer Nacht, dann gehe ganz hinten links im Gewerbehof in den Eingang hinter der Wendeltreppe.

So kam es, daß ich von den Göttern auf eine lange Odyssee geschickt wurde. Ratlos nahm ich zuerst sämtliche Schilder des Hauptgebäudes unter die Lupe. Ob die Personengruppe, die am Eingang stand, auch dazu gehörte? Warum poussiert der Typ dann mit `nem Mädel?

Ahnungslos stieg ich in das erste Obergeschoß, wo ich einen hübschen jungen Kerl am Kopierer stehen sah. Ob der wohl schwul ist? Mit klopfendem Herzen, zu allem bereit, fragte ich ihn, ob er mir sagen könne, wo ich die Coming-Out-Gruppe fände. Er schaute mir tief in die Augen, schob mich in ein Büro und… …fragte dort eine Sekretärin, ob sie mir vielleicht weiterhelfen könne. Diese schickte mich dann ins Café Palaver. Zwei nette Mädels zeigten mir schließlich die Räume in den hinteren Gebäuden des Gewerbehofes.

Da war sie: Die letzte Chance zum Umkehren. Ich holte tief Luft, trat ein und da saßen sie auch schon in einer gemütlichen Runde: Etwa zehn junge Männer, die mich gleich freundlich aufnahmen. Feels like coming home.

Durch die Gespräche und Kontakte in lockerer Atmosphäre konnte ich als Neuling lernen, mein Schwulsein zu akzeptieren, der Welt positiver und offener entgegenzutreten. Das erleichterte es mir, erste Schritte in die neuentdeckte schwule Welt zu setzen.

Ich kann es Dir nur empfehlen: Komm einfach vorbei und schau‘ es Dir an – wir haben alle so angefangen.

Markus